Provokativ statt prätentiös: Kommunikationsstrategien für die Freiheit

In Zeiten, in denen Freiheit an sich schon als provokante Forderung gilt, und das sogar in der einst liberalen FDP, ist Vorsicht geboten: es könnte kaum klarer sein, dass auch die letzten uns verbliebenen Freiheiten – und es sind wahrlich nicht viele – unter Beschuss stehen. Die zunehmend links-grüne Gesellschaft verachtet den ökonomischen und pervertiert den gesellschaftlichen Liberalismus. Die Etatistenversammlung, die regelmäßig im Reichstagsgebäude zusammenfindet, trägt mit Freude ihren Teil dazu bei, die Freiheit zu Grabe zu tragen.

Um diesem Trend und ja, dem gesamten Zeitgeist entgegenzutreten und zumindest einmal die fundamentalsten unserer Freiheiten zu verteidigen, müssen die Menschen auf die richtige Art angesprochen werden. Schließlich wäre es ein Trugschluss, aus den steigenden Umfragewerten und Wahlergebnissen der Wassermelonenpartei – sie ist nach außen hin grün, innen aber zutiefst rot – das Fazit zu ziehen, dass der Kampf für mehr Freiheit aussichtslos ist und deshalb einfach zu resignieren. Denn die meisten Menschen sind tatsächlich keine überzeugten Grünen oder Linken, die dem Ökosozialismus inbrünstig frönen und die Wiederkehr des Sozialismus bewusst unterstützen. Vielmehr sind die allermeisten Menschen in Deutschland nahezu gänzlich unpolitisch. Sie lassen sich lediglich von den simplen politischen Forderungen blenden, die auf den ersten Blick erstrebenswert erscheinen: wer will denn schließlich nicht, dass niemand mehr arm sein muss? Wer stellt sich gegen die Idee des Umweltschutzes? Denkt man nicht weiter darüber nach und nimmt für bare Münze, was von politischen Akteuren kommuniziert wird, so können die Vorschläge einschlägiger Parteien durchaus verlockend erscheinen.

Eine (pseudo)intellektuelle Debatte über verschiedene Gesellschaftsentwürfe ist nun sicher nicht der richtige Weg, wenn man diese Mehrheit der Menschen ansprechen will, die derzeit unbewusst den wieder einmal Einzug haltenden Sozialismus unterstützt. Denn selbst wenn der durchschnittliche Deutsche Interesse an tiefgründigen politiktheoretischen Debatten hätte – was er nicht hat –, so fehlte ihm wohl schlichtweg die intellektuelle Kapazität oder die entsprechende Bildung, um diesen in ausreichendem Maße folgen zu können. Was im ersten Moment elitär oder gar despektierlich klingen mag, ist letzten Endes nur das Eingeständnis des Offensichtlichen: dass vielschichtige Debatten über Wirtschafts- und Gesellschaftsentwürfe den Horizont eines Max Mustermann oder eine Jane Doe übersteigen.

Für jeden, der seine politischen Vorstellungen verwirklichen will, bedeutet das, dass auch und gerade komplexe Themen in simple, provokante Botschaften verpackt werden müssen, um für die breite Masse verständlich und interessant zu sein. Schließlich lässt sich ein freiheitliches Umdenken, das zu tatsächlicher Veränderung führen kann, nur dann erreichen, wenn ausreichend viele Unterstützer mobilisiert werden können. Dabei ist mitnichten eine unerreichbar scheinende Mehrheit der Bevölkerung notwendig: wie Forschungen der Harvard-Politikwissenschaftlerin Erica Chenoweth gezeigt haben, reichen nur 3.5 Prozent der Bevölkerung aus, um bedeutsame politische Veränderungen zu erreichen. Jede untersuchte politische Kampagne, die dreieinhalb Prozent der Bevölkerung überzeugte, erzielte signifikante Resultate und oftmals genügte gar noch weniger Unterstützung.

Eine wichtige Qualität provokanter Kommunikatoren ist nun, dass sie etablierte Denkmuster und Sichtweisen durchbrechen und dafür sorgen, dass Menschen das, was sie bisher zu wissen glaubten, hinterfragen. Indem (politische) Botschaften bis zum Äußersten getrieben werden, wird der Horizont des Publikums erweitert, und sei es nur dadurch, dass die Ablehnung des Gehörten sich selbst gegenüber gerechtfertigt werden muss. Randmeinungen, die außerhalb des etablierten Diskurses liegen, fördern das Denken. Zudem sind kurze, prägnante Aussagen wichtig, um die notwendige gesellschaftliche Unterstützung für das eigene Anliegen zu generieren. Denn wie bereits festgehalten reagieren die meisten Menschen eher auf simple Botschaften als auf (zumeist ohnehin erbärmliche) Versuche, die politische Auseinandersetzung künstlich auf einem hohen Niveau zu halten.

Außerdem zeugt ein Festhalten am (zumindest oberflächlich) intellektuell erscheinenden Diskurs häufig davon, das zu behandelnde Thema sowie die eigenen Meinungen und Argumente nicht ausreichend verstanden zu haben. Wer etwas wirklich begriffen hat, der muss in der Lage sein, es auf nahezu jedem erdenklichen Niveau verständlich zu machen. Aus einer naturrechtlichen Kritik an der Besteuerung in der Bundesrepublik Deutschland kann so schnell einmal das verkürzte und allseits bekannte „Steuern sind Raub“ werden, das nicht etwa Ausdruck einer Diskursunfähigkeit der Libertären ist, sondern die anzustrebende Unterkomplexität aufweist, um für jeden klar verständlich eine politische Position zu transportieren.

Jeder libertäre Twitterer, der irgendwann einmal die Worte „Steuern sind Raub“ verbreitet hat, hat also aller Wahrscheinlichkeit nach mehr für die Verbreitung freiheitlicher Ansichten getan als der siebenhundertdreiundvierzigste Antrag zur Senkung des Wahlalters auf irgendeinem Parteitag oder die neunundsechzigste Darlegung des Rentenkonzepts der XYZ-Partei, welches von wenigen gelesen und von noch wenigeren verstanden wird.

Doch warum lehnen Sozialliberale nun provokante politische Kommunikation überhaupt ab? Die Antwort ist simpel: sie stellen den Teil des Liberalismus dar, der sich dem linken Mainstream, der von den den politischen Diskurs bestimmenden Figuren vorgegeben wird, am meisten anbiedert. Im Gegensatz zum klassischen Liberalismus und Libertarismus stehen sie im Kampf Freiheit vs. Staat nicht auf der Seite der Freiheit, sondern ziehen für den Staat in die Schlacht. Wenn sich nun ein Libertärer der etablierten, „intellektuellen“ Diskussionsebene entzieht und stattdessen an allen Diskursautoritäten vorbei direkt zu den Massen spricht, indem er leicht verständliche, plakative Botschaften kommuniziert, anstatt sich auf unfruchtbare Debatten einzulassen, dann untergräbt er damit die bis dato gefestigte Diskurshoheit der sich oftmals nur noch in Nuancen unterscheidenden Mainstreammeinungen. Diesen stößt das natürlich sauer auf.

Ein ähnlich anmutender Gedankengang lässt sich schon bei Rothbard finden.[1] Dieser weist auch auf eine andere wichtige Begebenheit hin: eine heutzutage oft vertretene, aber eben auch schlichtweg falsche Ansicht ist die, dass die Korrektheit von politischen Ansichten umgekehrt proportional zu ihrer Radikalität ist – je „radikaler“ eine politische Meinung, als desto falscher wird diese oftmals wahrgenommen. Dieser Umstand lässt sich wohl darauf zurückführen, dass Menschen ungern ihr gefestigtes Weltbild hinterfragen oder ihre Komfortzone verlassen. Wenn nun also ein libertärer Twitterer den politischen Status Quo der letzten Jahrzehnte hinterfragt und die Sozialdemokratisierung (oder schlimmer) aller bedeutenden Parteien nicht kommentarlos hinnehmen will, dann ist die Empörung bei vielen „Gemäßigten“ nachvollziehbarerweise erst einmal groß. Recht gibt ihnen das aber nicht, denn es ist so, wie Ricky Gervais es einmal sagte: „Just because you’re offended doesn’t mean you’re right.“

Auch aus staatlicher Sicht ist es sicher unbequem, provokante Botschaften im politischen Diskurs akzeptieren zu müssen. Schließlich ist ein inhärent kollektivistisches Konstrukt wie der Staat auf eine gewisse Uniformität seiner Bürger angewiesen, zumindest in einem solchen Maße, dass die Meinungen der Mehrheit irgendwie unter einen Hut zu bringen sind. Aufrührerische Extremmeinungen passen nicht in das Konzept einer Gesellschaft, die sich auf einen größtenteils links der „Mitte“ verlaufenden, durchaus schmalen Korridor der akzeptablen Meinungen „geeinigt“ hat bzw. diesen aufgezwungen bekommt. Immerhin sind solche Denkweisen, die aus dem Einheitstrott ausbrechen, dazu geeignet, den „gesellschaftlichen Frieden“, also auf Deutsch übersetzt: das Fortbestehen der derzeitigen politischen Machtelite, zu gefährden, wenn sie zu einflussreich werden. Daher hat der Staat bzw. die politische Führungsriege immer ein Interesse daran, die Verbreitung solcher Randmeinungen in der Gesellschaft in einem ungefährlichen Rahmen zu halten und selbständig denkende Bürger nicht zum Regelfall werden zu lassen, denn: „The greatest danger to the State is independent intellectual criticism; there is no better way to stifle that criticism than to attack any isolated voice, and raiser of new doubts, as a profane violator of the wisdom of his ancestors.“[2]

Das Wichtigste an einer bestimmten Weltsicht ist aber ohnehin nicht, auf welche Art und Weise sie kommuniziert wird, sondern ob die Weltsicht korrekt ist. Darum ist ein durch Provokation zum Ausdruck gebrachter Libertarismus in jedem Fall tausendmal besser und wertvoller als ein mit klug klingenden Wörtern geschmückter Linksliberalismus, der leicht zu beeindruckende Personen vielleicht überzeugen kann, fünf Minuten kritischen Denkens aber wohl nicht überstehen würde.

Ich möchte hier übrigens keineswegs sagen, dass politische Auseinandersetzung NUR auf der Ebene der provokanten, simplifizierten Plattitüden stattzufinden hat. Tatsächlich halte ich den intellektuellen und philosophischen Diskurs langfristig für mindestens ebenso wichtig, wenn nicht sogar für wichtiger. Dieser muss aber zwischen den entsprechenden Denkern verschiedener politischer Denkrichtungen stattfinden, nicht zwischen Otto Normalverbraucher und Maria Mustermann, die nicht wissen, von was sie eigentlich sprechen. Eine ernstzunehmende politische Grundsatzdiskussion halte ich für wenig fruchtbar und mehr oder minder unmöglich, wenn die Beteiligten (aus welchen Gründen auch immer) nicht in der Lage sind, mehr zu tun als nur an der Oberfläche zu kratzen und den Status Quo mit dem Status Quo zu begründen.

Diesen Artikel möchte ich nun schließlich mit den Worten Murray Rothbards beenden, die auch seinen oben zitierten Text zur Demagogie in der Politik abschließen:

„It is true that, in the long run, we will never be free until the intellectuals – the natural molders of public opinion – have been converted to the side of freedom. In the short run, however, the only route to liberty is by an appeal to the masses over the heads of the State and its intellectual bodyguard. And this appeal can be made most effectively by the demagogue – the rough, unpolished man of the people, who can present the truth in simple, effective, yes emotional, language. The intellectuals see this clearly, and this is why they constantly attack every indication of libertarian demagoguery as part of a „rising tide of anti-intellectualism.“ Of course, it is not anti-intellectualism; it is the saving of mankind from those intellectuals who have betrayed the intellect itself.“

[1] Murray Newton Rothbard: In Defense of Demagogues, in: David Gordon (Hrsg.): Strictly Confidential. The Private Volker Fund Memos of Murray N. Rothbard, Ludwig von Mises Institute, Auburn 2010, S. 32-35.

[2] Murray Newton Rothbard: Anatomy of the State, Ludwig von Mises Institute, Auburn 2009, S. 25.

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